Dieses Bild malte meine Klientin Frau F. in einem Workshop, in dem sie sich mit der Bewältigung ihrer Krankheit auseinandersetzte. Ich bat sie zunächst, sich in Gedanken ihre Befürchtungen, Sorgen, Ängste genau vorzustellen und dazu mit bunten Wachsstiften ein Bild zu malen. Dann wendeten wir eine Methode aus der Trauma-Behandlung an, mit der sie ihrer Angst die Schärfe nehmen konnte. Danach bat ich sie um ein weiteres Bild, das ich hier zeigen darf. Die Klientin erläuterte mir, was sie ausdrücken wollte: Es wirbele immer noch in ihr, aber inzwischen sei es ihr gelungen, dem Wirbeln klare Grenzen zu geben und aus den Tiefen des Wassers an die Oberfläche zu kommen. Sie bekomme wieder Luft und werde größer. Sie schaue dem Vogel hinterher und sei zuversichtlich, bald auch zu fliegen und frei zu sein.
Immer wieder bin ich tief beeindruckt, wie intensiv das Malen als ein Weg der Kreativität wirksam ist. Das Bild von Frau F. hat weder künstlerische Kraft noch zeigt es Könnerschaft in darstellender Kunst. Es war hier der Prozess an sich, auf den sie sich eingelassen hatte. Frau F. konnte ihre Angst, die Konfrontation mit ihr und ihre Ideen zur Bewältigung in einen schöpferischen Akt umwandeln. Und das mit ganz einfachen Mitteln. Die weiteren Gespräche mit Frau F. machten deutlich, dass ihr das Malen einen Zugang zu ihrem Selbst ermöglichte und ihr Kraft sowie wichtige Impulse für ihre Persönlichkeitsentwicklung gab.
„Schade, aber ich kann überhaupt nicht malen“, sagen andere Klienten. Das macht nichts, denn darauf kommt es nicht an. In hier bedeutsamen kreativen Aktivitäten es geht um das Abschalten des Denkens. Ziel ist das Nichtdenken. Das nicht zu verbalisierende Wahrnehmen, Fühlen, Spüren, Empfinden. Das Abgeben von Planung und Kontrolle. Das Verlassen von gewohnten Bahnen, das Aussteigen aus dem Hamsterrad. Den weiten Blick. Das Loslassen. Nur so werden Menschen frei dafür, sich Neuem zuzuwenden.
Wenn Sie nicht malen mögen, suchen Sie sich etwas, das Ihnen lieber ist. Etwas, das Sie vielleicht als Kind gerne gemacht haben. Hauptsache, Sie können wirklich abschalten, ihr alltägliches Ich verlassen und in den Flow kommen. Ich selbst liebe den Flow beim Meditieren und Tagträumen, beim Tai Chi, beim Malen, Basteln, Singen und beim Schlendern am Strand.
Der Flow ist keine weiche Wolke, begleitet von zarter Musik. Sondern er ist der Moment, in dem Sie Ihre Umgebung ausblenden und sich nur noch auf diese eine Sache fokussieren. Flow kann auch mit Anstrengung verbunden sein. Der Sinn steckt in dem Prozess an sich. Und zugleich bietet er eine Regeneration, wie sie sonst nur guter Schlaf zu erzeugen vermag. Es gibt also außer einer guten Nacht oder einem Nickerchen nach dem Mittag noch andere, mächtige Wege für seelisches, geistiges und körperliches Krafttanken.