Was macht man bloß mit einer Lücke? Ausnutzen! Stopfen! Auffüllen! Kaschieren! Dazu stehen – geht auch, mögen viele aber nicht. Es kommt darauf an, um was für eine Lücke es sich handelt. Eine Wissenslücke kann man belassen, denn niemand kann alles wissen. Geht’s bei der Wissenslücke aber um etwas Wichtiges wie Schule oder Beruf, dann hilft nur nacharbeiten und – bis es so weit ist – geschickt kaschieren. Ähnlich ist es bei einer Zahnlücke: Ist sie klein, kann sie bleiben und sogar zum Markenzeichen werden. Ist sie groß und beschränkt die Funktion, ist es besser, sie zu schließen. Und im Stau gestresst die Lücken auf der Nebenspur ausnutzen, bringt einen meist gar nicht so viel weiter.
Diese beiden Lösungen waren einfach. Denn da waren die Maßstäbe relativ leicht zu finden. Schwieriger ist es, wenn es um subjektive Größenordnungen geht. Was ist wirklich erforderlich? Wann ist es genug? Oder geht es nur um einen inneren Anspruch, eine hohe persönliche Messlatte, die selbst Profis beeindruckt?
Tatsächlich geht es hier um Geschmack, also individuelle Vorlieben und Abneigungen, um Präferenzen. Ich finde, am Beispiel Ordnung und Haushalt wird das immer schnell deutlich. Wie oft soll das Bad gereinigt werden? Wie lange darf der Abwasch stehen bleiben? Wer bringt wann den Müll raus? „Wenn du das so haben willst, dann mach es doch selbst!“ Vor allem in WGs wird viel Zeit dafür aufgewendet, die unterschiedlichen Bedürfnisse nach Ordnung und Reinlichkeit zu harmonisieren. Trotz Verhandlungen, Kämpfen und wechselnden Personen bleiben da Lücken. Denn es ist das Wesen des Kompromisses, dass Wünsche offen und unerfüllt bleiben.
Mit dem Mut zur Lücke ist es anders. Die mutige Handlung folgt nicht aus einem Kompromiss, sondern aus einer Entscheidung. Wie bewusst sich jemand entscheidet und wie viel Mut er dafür braucht, ist oftmals erst rückblickend zu erkennen und anzuerkennen. Manchmal hat eine Person auch keine wirkliche Wahl. Eine innere Not oder nicht akzeptable Alternativen lassen in ihr den Mut entstehen. Und dann wagt sie den Sprung. Dabei gibt sie einen bislang geführten Kampf auf und nimmt stattdessen die unguten Gefühle wie Angst, Trauer oder Scham einfach an.
Scheint es zunächst ein Resignieren zu sein, entpuppt sich der Mut zur Lücke dann als eine Tür zu einer neu zu entdeckenden Welt. Dort gibt es endlich Ruhe, endlich Klarheit. Wenig ist dann genug. Und es gibt einen Platz für das innere Wesen dieser Person, das dort langsam wachsen kann. Einfach ausgedrückt: Seinen Gefühlen und Nöten zu begegnen und sie ohne Selbstmobbing als einen Teil von sich zu akzeptieren, das erzeugt Gelassenheit. Dann stellt sich heraus: Die Gefühle gehen vorbei und sind dann nicht länger bedrohlich.