Ab und zu – und mit viel Freude – simuliere ich, täusche und tue so als ob. Herrlich! Ich darf das, weil angehende Ärzt*innen mich als Simulationspatientin brauchen. Ich stelle dann eine Person mit einer bestimmten Krankheit dar. Werde ich für einen Unterricht gebucht, soll ich anschließend sagen, wie mir das Gespräch gefallen hat. Ich gebe fast immer nur Likes, oft auch Herzchen. Nur wenn ich für eine Prüfung eingeteilt bin, darf ich nachher nichts mehr sagen. Dann simuliere ich Mütterliches, schaue aufmunternd oder zwinkere freundlich, wie ein Emoji.
In der Simulation bin ich wie eine Figur auf dem Holo-Deck: Die Frau Meyer mit Asthma oder die Frau Müller mit Gastritis. Wie beim realen Haus- oder Facharzt werde ich befragt, manchmal untersucht, immer beruhigt und bekomme eine Diagnose gestellt oder eine Diagnostik vorgeschlagen. Die angehenden Ärzt*innen üben sich in Kommunikation, weil sie wichtig ist für den Erfolg des Medizin-Geschäfts. Was hier von langer Hand vorbereitet wird, erlebe ich vielleicht noch: mehr reden und ermutigen, weniger schlucken oder schneiden.
Obwohl ich für jede Rolle ein detailreiches Skript habe, ist es jedes Mal eine andere Situation. Manches muss ich wörtlich wiedergeben, anderes improvisiere ich. Als Frau Meyer oder Frau Müller bin ich nicht besonders redselig, man muss mir Informationen aus der Nase ziehen. Auch in der Prüfung ist es anders als sonst: Es gibt Punkte für die Fragen, nicht für die Antworten. Wenn ich spiele, schwingen immer auch meine wahren Gefühle wie Erschrecken oder Erleichterung mit. Und alle Beteiligten finden: Die simulierte Arzt-Patienten-Situation fühlt sich echt an.
Meine Likes und Herzchen sind ebenfalls echt und gar nicht simuliert. Wenn mir was nicht gefällt, soll ich das sagen, korrekte Kritik nach der Sandwich-Methode. Aber anders als in meinem wahren Patientenleben hat es mir noch nie nicht gefallen. Die Kritik dient vor allem dem Nachjustieren und Ermutigen. Denn das finde ich wirklich beeindruckend: Die angehenden Ärzt*innen sind so talentiert.
Manchmal bleiben sie wegen zu simpler Handlungsanweisungen hinter ihren Möglichkeiten zurück. Von diesen Situationen mag ich die hier am liebsten: In meiner Rolle bin ich angstgeplagt, deprimiert, traue mich nicht mehr alleine vor die Tür und weiß echt nicht weiter. Hoffnungsvoll schaue ich den Arzt oder die Ärztin an und brauche Hilfe. Und bekomme gesagt, ich solle zur Aufmunterung doch mal mit meinem Mann Spaziergänge machen. Hmm, echt jetzt – in meiner simulierten, scheußlichen Lage hilft mir am Besten das Gassigehen? Ich höre da eher ein „stell dich nicht so an“, bin entmutigt und rutsche zurück in mein depressives Schneckenhaus. Als die Psychologin hinter der Rolle finde ich den Vorschlag unpassend: Er eignet sich weder zur Konfrontation/Exposition noch zur Ablenkung. Aber Kritik an der Lehre ist ja nicht meine Aufgabe. Dennoch habe ich Hoffnung: Manche der angehenden Ärzt*innen können den Gassigehen-Satz so vorbringen, dass ich ihre echte und wohlwollende Anteilnahme verspüre, eben den Willen zu helfen. Das berührt mich sehr und ich verstehe die wahre Botschaft genau.
Wenn ich irgendwann einmal schwer krank werden sollte, hoffe ich, es mit einem dieser Naturtalente zu tun zu bekommen. Aber ich habe Zeit. Denn die Simulation von Krankheiten macht mich geradezu resistent. Bei mir gibt es keinen Molière-Effekt mehr: Anders als früher kann ich jetzt Visite sehen und Apotheken-Umschau oder im Pschyrembel lesen, ohne irgendwelche Beschwerden zu bekommen. Wie das Total-Cool-Emoji trage ich immer eine Sonnenbrille. Ich glaube, ich werde das Simulieren auf meine anderen Lebensbereiche ausweiten. Zwinker.