Selbstgespräche führen

22. Juli 2021

Selbstgespräche führen

Eine Person, die für alle hörbar mit sich selbst redet, wird wohl immer noch schräg angesehen. Mit der stillen Frage im Kopf: ‚Ist sie verrückt?’ Meine Cousine M. schickte mir vor einiger Zeit den Spruch: „Natürlich rede ich mit mir selbst, denn ab und zu brauche auch ich kompetente Beratung.“ Das war lustig. Es hat aber einen ernsthaften Kern.

Selbstgespräche führen ist tatsächlich alles andere als verrückt. Kinder tun es häufig. Vielleicht haben sie das schon beobachtet: Die Kleinen kommentieren Erlebnisse, imitieren und erproben soziale Situationen und nehmen dabei verschiedene Rollen ein. Manche Kinder haben zeitweilig einen imaginären Freund, mit dem sie sprechen und Erlebnisse teilen. Das alles lässt Kinder reifen. Denn es fördert viele Skills wie soziale Kompetenz, Selbstregulation oder Problemlösefähigkeit. Kinder „verstummen“ erst mit ihren Selbstgesprächen, wenn sie bemerken, dass sie nicht der sozialen Norm entsprechen.

Selbstgespräche sind auch für Erwachsene sinnvoll. Damit meine ich nicht nur bei Einsamkeit oder Alleinsein, wo das Mit-sich-Reden stabilisierend wirkt. Nein, es geht um die bessere Bewältigung besonderer Situationen im Alltag. Ich konnte das beobachten, als mir mein Tischler dabei half, das riesige Bücherregal in meiner Praxiswohnung aufzubauen. Er sprach in seinen (nicht vorhandenen) Bart: Wenn er das Werkzeug zurechtlegte. Wenn er den nächsten Schritt plante. Oder wenn ein Schritt nicht funktionierte und er eine neue Strategie entwickelte. Er gab sich selbst Handlungsaufträge und steuerte sein so eigenes Verhalten. Als assistierende Kundin fand ich das logisch und gut nachvollziehbar. Und es störte mich nicht, dass ich nicht angesprochen war. Denn das Mithören erlaubte mir, dem Prozess zu folgen und ihn – wenn machbar – zu unterstützen. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie wir leise und konzentriert Hand in Hand arbeiteten und das Regal ziemlich schnell aufgebaut hatten.

Sich selbst zu instruieren, um zu besseren Ergebnissen zu kommen, ist also eine gute Sache. Dabei ist die positive Ansprache seiner selbst sehr wichtig. Also sich nicht selber abkanzeln und runtermachen – eigentlich klar, oder? Es ist wie in üblichen Dialogen zwischen zwei Personen: Ein freundlicher und positiver Umgang ist prima – negatives Reden dagegen erzeugt Stress und innere Anspannung.

Und dann ist da noch die Wahl der Anrede. Sage ich vor der nächsten kniffligen Aufgabe lieber laut „Ich schaffe das!“ oder „Jana, das schaffst du!“ zu mir? Die Forschung hat dazu eine eindeutige Antwort: Sich in der zweiten Person anzureden bewirkt für die dann ausgeführte Handlung einen besseren Eindruck, mehr Lockerheit und größeres Zutrauen. Denn mit Anrede in der zweiten Person schaffen wir Distanz und verringern Grübeln und Hadern mit den gemachten Erfahrungen. Na denn. Ich habe gemerkt, dass ich mich manchmal auch mit „Frau Wallrath“ anrede – ob mir das aber noch mehr hilft, wurde leider nicht erforscht ;-).

 

PS: Das Kind auf dem Blogfoto bin ich, das Model in den analogen Fotoexperimenten meines Vaters.