Manche meiner Coachees erzählen mir, dass sie traurig sind oder darum trauern, dass etwas nicht mehr so ist, wie es war. Sie fühlen sich schwer und an die Vergangenheit gekettet, verbunden mit wiederkehrenden Gedanken aus der Kategorie „hätte ich bloß“ und „warum ist das so gekommen“. Ich bin dann sehr bei dieser Person, weil ich diese Gefühle (ich finde, es sind mehrere) gut kenne, und ermuntere sie dazu, das, was sie fühlt und denkt, einmal näher zu beschreiben.
Das weitere Gespräch ist dann bei jedem/jeder Coachee anders. Je nach Lebenslage höre ich Sätze der Verdrängung, zeigen sich zum gleichen Moment verschiedene Emotionen (Wut, Angst, Schuld, Trauer) und werden Erinnerungen reflektiert. Und manchmal entpuppt sich etwas, was wie Resignation aussieht, beim näheren Hinschauen als Beginn zum Seinen-Frieden-Machen. Wenn ich das spiegele und zurückmelde, schaut mich die Person ungläubig und erstaunt an. Aber das ist genau der Moment, so sagen mir die Coachees später, an dem sie wirklich weitergekommen sind, weil sich etwas in ihnen löste. Scheinbar von selbst konnten sie dann die nächsten Schritte machen. Sie kamen näher zu sich, zu ihren Wünschen und Bedürfnissen und wuchsen in ein an diesem Punkt neues Leben hinein. Zugleich fühlten sie sich leichter, heiterer und lebendiger in der Gegenwart, ohne dass die Trauer ganz weg wäre und sie das Verlorene vergessen hätten.
Was hier so einzigartig und nicht übertragbar aussieht, entspricht tatsächlich einem Schema. Die Schilderung der Gesprächsverläufe mit meinen Coachees zeigt die vier Phasen der Trauer, wie sie von Verena Kast beschrieben wurden. Andere Menschen werden die fünf Phasen der Trauer von Elisabeth Kübler-Ross für sich passender finden. Allen Sichtweisen gemeinsam ist, dass die Phasen wechseln und oft in mehreren Durchgängen stattfinden. Trauern um etwas Verlorenes ist höchst individuell, sowohl mit Blick auf die Person als auch auf den Verlust.
Was in den Phasen der Trauer innerlich stattfindet, beschreibt Nathalie Knapp (1) so: „Die Trauer heilt auf eine paradoxe Weise: Indem sie physische Bindungen schmerzhaft zersetzt und in geistige verwandelt, stärkt sie das gerissene Lebensnetz und lässt das Verlorene zu einem lebendigen Teil unserer Gegenwart werden. Gleichzeitig schenkt sie uns einen freieren Blick auf das Leben, indem sie unsere begrenzten Vorstellungen beiseite räumt. “
Trauern ist also nichts anderes als ein Prozess der seelischen Reifung. Unsere Aufmerksamkeit wird die Gegenwart gelenkt und auf die Begegnungen, die wir mit anderen – Menschen, Flora, Fauna, Umwelt – haben. Diese Momente, das wissen Menschen, die ihre Trauer transformierten, sind kostbar. Sie sind das wahre Leben – ganz im Gegenteil zu dem gängigen Vorzeigen fortlaufender Erfolge.
Das also ist der Weg oder das Rezept, wie jede:r mit ihrer/seiner Trauer und Traurigkeit umgehen und was sie/ihn am Ende erwarten kann.
Wer zwischendrin in der Trauer feststeckt, der/dem hilft womöglich eine deutliche Ansage – so wie die auf dem Foto zu diesem Blogeintrag. Das Bild hat meine Freundin Nicola Nordenbruch, Vorsitzende des Vereins Amor statt Tumor, gestaltet – und sie weiß sehr genau, was damit gemeint ist. Ich habe es gerne in meinem Büro aufgehängt, denn es bringt mich immer wieder zum Lächeln.
(1) Natalie Knapp: Der unendliche Augenblick. Hamburg 2015, S. 112