So fragen PsychologIinnen, oder? Offen gesagt: Ich zucke bei dieser Frage immer zusammen. Von mir werden Sie sie jedenfalls nicht hören. Denn ich finde, sie setzt den falschen Fokus.
Was erfragt wird, sind im Grunde die Reaktionen, die die Person in dieser bestimmten Situation hatte: Was hat sie dabei gefühlt, gespürt und gedacht? Das zu sagen und zu erfahren, kennzeichnet ein gutes Gespräch. Denn jemand will wissen, wie es der Person wirklich ergangen ist und noch ergeht. Und es gibt den Anstoß, sich genauer mit der damaligen Situation auseinanderzusetzen, darüber zu reflektieren. So können sich beide darüber verständigen, welche Bedeutung das Erlebnis hatte und noch hat.
Der falsche Fokus entsteht durch den in der Frage eingebauten Akteur. Das Ereignis oder die Situation wird zum Handelnden erhoben, in dessen Macht es steht, etwas Bestimmtes zu bewirken. Ohne Zweifel gibt es Situationen, einzeln oder in Summe, die so negativ und bedrohlich sind, dass ihre Bedeutung für sich zu stehen scheint, quasi wie ein Handelnder. Dennoch: Manch eine nimmt das so, die andere anders wahr. Es gibt jedenfalls nicht die eine, einzig denkbare Reaktion darauf.
Das wusste schon Epiktet, als er sagte: „Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben.“ Er gehört zu der philosophischen Schule der Stoa. Epiktet forderte zu differenzieren zwischen dem, was in unserer Macht steht (Denken, Urteilen, Begehren, Handeln und Unterlassen) – und was nicht. Wer diese Unterscheidung beherrscht, sagt Epiktet, wird nicht fremdbestimmt und nicht gehindert, er wird nicht scheitern und nicht schimpfen. Hier liegt der Kern der gern eingeforderten Selbstbestimmung und Freiheit. Es ist die Forderung an sich selbst: Zu wissen, was wirklich in der eigenen Macht und Kontrolle steht.
Nicht wenige Menschen überschätzen und unterschätzen das. Deshalb ist es wichtig zu erkennen, wer der Akteur ist: Es sind jedenfalls nicht automatisch die Umstände. Wer einen Eindruck darüber bekommen möchte, wie ein einzelner Mensch unter widrigsten Umständen seine Selbstbestimmung wahren konnte, der lese etwas von Viktor Frankl, dem Wiener Neurologen, der das Ghetto Theresienstadt und die Zeit in Konzentrationslagern überlebte.
Und welche Fragen wären dann besser? Mit folgenden Fragen fühle ich mich als Fragende und Befragte wohler und vor der Falle des falschen Fokus bewahrt:
- Wie finden Sie das?
- Wie denken Sie darüber?
- Welche Gefühle haben Sie bemerkt?
- Wie hat Ihr Körper reagiert?
- Was bedeutet das für Sie?
Die Überlegungen zum Finden, Denken, Fühlen, den Körperreaktionen und den subjektiven Bedeutungen eignen sich auch ein inneres Selbstgespräch, mit dem man eine Situation überdenken möchte. Am Schönsten finde ich jedoch die Frage: Wie kommen Sie darauf?
Ja, hmmm – wie komme ich bloß darauf? Das war (für mich selbst ebenso wie für meine KlientInnen) oft der wichtigste Faden, um aus einer verfahrenen Situation herauszufinden. Denn er führt zu den Glaubenssätzen, die wir schon so lange in uns haben, dass wir sie kaum noch benennen können. Das ist doch einfach so! Nein, ist es nicht, es kann auch anders sein. Wer das entdeckt, dem dämmert es, wie er darauf kommt. Und glaubt nicht mehr alles, was er denkt.