Der Stallgeruch eines Coachs

10. Dezember 2020

Der Stallgeruch eines Coachs

Was erwarten Sie von einem Coach? Er soll freundlich und kompetent sein und Ihnen neue Impulse geben, nicht wahr? Über das Freundlichsein müssen wir nicht diskutieren, es ist eine notwendige Grundbedingung für die Arbeit eines Coachs. Obwohl ich selbst schon einen Coach erlebt habe, der sich nur scheinbar freundlich und zugewandt benahm und unter Druck übergriffig und respektlos wurde – solche Vögel gehören verjagt.

Auch dass Sie neue Impulse bekommen, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Ein Coach sollte gut fragen und nachfragen können und sich erkennbar Mühe dabei geben, die ratsuchende Person so gut wie möglich zu verstehen. Wer (wie ich) die Gesprächsführung nach Carl Rogers überzeugt praktiziert, kann das Einfühlen und Impulse-Geben für seine Coachees gut gewährleisten.

Nun zur Kompetenz. Wie stellen Sie als Kundin oder Kunde das überhaupt fest? Hinweise geben die Richtungen der nachgewiesenen Fortbildungen. Ein Coach therapiert zwar nicht, sollte aber mit den wissenschaftlich anerkannten Therapieverfahren vertraut sein. Auch wenn es nicht um Störungen geht: Eine fundierte Kenntnis von Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, Tiefen-Psychotherapie und systemischer Therapie ermöglicht unterschiedliche Deutungsrahmen, die gut weiterhelfen. Und neben den wissenschaftlich anerkannten Methoden gibt es weitere seriöse Verfahren, die helfen, das Coaching anzureichern. Als Psychologin habe ich das während und nach dem Studium gelernt und lerne weiter.

Und wie ist es mit den Kenntnissen des Coachs aus der Branche, in der die Coachees arbeiten? Muss ein Coach tief in die Arbeitswelt seiner Kunden eingetaucht sein, um ihnen helfen zu können? Also quasi Stallgeruch haben?

Das Charmante am Stallgeruch ist, dass sich schnell eine Synchronisierung zwischen den Personen einzustellen scheint. Die eine weiß gleich, wovon die andere redet und wie es sich anfühlt. Die Falle daran ist, dass dabei Fehler passieren können. Und das geschieht nicht selten. Es rutschen Details durch, weil diese Aspekte als „bekannt“ eingeordnet und nicht hinterfragt werden.

Ein weiterer Fehler ist die Gefahr der Verstrickung. War der Coach selbst in der Situation seines Klienten und kennt er die negativen Gefühle und die starken Belastungen, kann das seine Emotionen triggern. Und das wiederum kann ihn zu Einschätzungen verleiten, die nicht stimmig für den Klienten sind. Zu viel eigene Betroffenheit trübt die Objektivität und schränkt das helfende Handeln ein.

Wenn ich als Coach also mit Menschen aus der medizinischen Branche arbeite, muss ich weder Krankenschwester noch Ärztin gewesen sein. Wenn ich Pädagoginnen und Pädagogen coache, muss ich nicht selbst Erzieherin oder Lehrerin gewesen sein. Auch bei der Zusammenarbeit mit HR- und Führungskräften können weder meine Coachees noch ich davon ausgehen, dass ich aus eigener, früherer Anschauung genau ihre spezifischen Arbeitssituationen durchdringe.

Dass das so ist, macht Coachingprozesse manchmal mühsam. Meine Coachee muss mir mit viel Geduld erklären, wo genau der wunde Punkt in ihrer Arbeitssituation liegt. Und ich muss so lange fragen, bis wir gemeinsam den richtigen Zipfel erwischt zu haben, um das verhüllende Tuch vorsichtig anzuheben und einen neuen Pfad zu erkennen. Und es ist das Reden und Nachfragen selbst, das sehr oft bereits Wege aus der aktuell schwierigen Situation zeigen. Mein fehlender Stallgeruch als Coach ist also hilfreich und überhaupt kein Nachteil.