Den ganzen Tag aufregen

26. November 2020

Den ganzen Tag aufregen

Manchmal treffe ich Menschen, die sich ganz viel aufregen. Über kleine Dinge und große Dinge, über Persönliches und Allgemeines. Den ganzen Tag. Manche machen das ganz charmant, so dass es mir wie eine Kunstform erscheint. Und ich erwische mich dabei, wie ich in diese Welt hineingezogen werde und den verschiedenen Aufreger-Themen leicht zustimmen möchte. Aber da bremse ich mich. Und mit dem Spruch auf der Karte, die eine liebe Kollegin auf ihrem Schreibtisch hatte, habe ich endlich auch einen guten Grund: Ich bin nicht dazu verpflichtet, mich aufzuregen. Auch nicht zusammen mit anderen.

Tatsächlich finde ich, dass sich permanentes Aufregen schnell in dauerndes Meckern verwandelt. Und das ist für mich wie ein schleichendes Gift. Es tut mir nicht gut, raubt mir Energie und Lebensfreude. Mir ist schon klar, dass die Welt nicht rosarot ist, tatsächlich ist vieles gar nicht gut und schön. Aber ich habe nicht die Vorstellung, dass alles gut und schön sein kann. Und so entscheide ich selbst, wie weit ich mich aufrege und was sich daran für mich anschließt. Aktiv werden zum Beispiel, um eine Ungerechtigkeit zu mindern. Das Verhalten ändern zum Beispiel, um nicht wie bisher gedankenlos Müll zu produzieren. Die Welt kann ich nicht retten, aber das Meinige dazutun, so gut wie gerade möglich.

In den Coachings treffe ich selten Menschen, die sich den ganzen Tag aufregen. Denn sie haben ernste Anliegen und wichtige Fragen, die sie für sich und ihr Leben lösen wollen. Da ist es mir eine Freude, mit meinem Beitrag daran mitzuwirken. Den Breitband-Meckerern muss ich manchmal sagen, dass ich ihnen nicht helfen kann. Ich erkenne zwar hinter dem Aufregen ihre persönliche Not, sehe jedoch nicht den Willen, sich anzustrengen, daran zu arbeiten. Und das kann ich sogar verstehen, denn es kann echt mühsam sein, sich mit seinen unzulänglichen, schwachen oder dunklen Seiten zu befassen. Wer das jetzt noch nicht tun mag, braucht Zeit, bis er dazu bereit ist. Dann ist er mir wieder herzlich willkommen, dass ich ihn ein paar Schritte begleite und unterstütze.