Zeitwohlstand

12. November 2020

Zeitwohlstand

„Haben Sie mal Zeit für mich?“
„Ja, was kann ich für Sie tun?“

Zeit zu haben, das ist für viele Menschen ein Luxus. Wer reich an Zeit ist, gerät in den Verdacht des Müßiggangs oder gar der Faulheit. Was macht der den ganzen Tag? Die Neider finden es nicht in Ordnung, so wenig zu tun, denn so jemand ist einfach kein wertvolles Mitglied der Gesellschaft. Äußerliche Untätigkeit und zu viel Zeit haben ist für einige schlimmer als zu viel Geld zu haben. Im Innern bedauern die von der Zeit gehetzten Menschen, dass der Zeit-Reiche nichts von seinem Wohlstand an sie abgeben kann. Mit Geld ginge das. Und weil die Neider keinen Weg wissen, wie sie zu einer Veränderung kommen, bleiben sie im Hamsterrad hängen und fordern andere auf, dabei mitzumachen. Einfach innehalten und überlegen, wie sie ihren Kontostand an Zeit erhöhen können, gelingt ihnen nicht.

Kreative Impulse gegen die Steigerungslogik der Wirtschaftsgesellschaft kommen aus dem Verein zur Verzögerung der Zeit. Sie regen an, eine Not-to-do-Liste zu schreiben oder sich mit Keinkaufslisten zu befassen.

Das ist aber nur ein erster Schritt. Tatsächlich gelingt es nur Wenigen, über den Kopf und die Erkenntnis aus dem Hamsterrad auszusteigen. Die meisten brauchen einen kräftigen Anstoß, und der kommt nach meiner Beobachtung vor allem vom Körper. Zusammen mit der Psyche zeigt er Krankheiten wie Bluthochdruck oder Schmerzen und produziert Symptome wie Angst, Panik, Erschöpfung oder Schlaflosigkeit.

Diese Signale werden schon besser wahrgenommen. Wer es dann auch noch schafft, sich nicht wie ein Automobil zu sehen, das in der Werkstatt repariert wird, um dann wieder fit zu sein wie zuvor, hat eine Chance. Die Chance, über sein Leben und seinen Lebensstil nachzudenken. Zu reflektieren, von wo er gekommen ist und was er erreicht hat. Und zu überlegen, welches seine wirklichen Lebensziele sind und wie er sie erreichen kann.

Manche Menschen haben Angst vor diesen Gedanken. „Wer bin ich, wenn ich nicht arbeite?“ Sie befürchten, dass dann alles auseinander bricht. Das ist eine zu pessimistische Einschätzung. Wenn ich mit Klientinnen und Klienten im Coaching über ihren bisherigen Lebensweg spreche, höre ich immer sehr beeindruckende Schilderungen. Das sind keine „Versager“ oder „Nieten“ – auch wenn manche Leute sich so sehen oder von anderen so genannt werden. Sich diese Begriffe des Selbst- oder Fremd-Mobbings sich nicht anzueignen, sondern zu verbitten, ist ein wichtiger Anfang. Von hier an wird der Selbstwert wieder aufgebaut, der so sehr gelitten hat.

 

Wer das anstrebt, braucht einen passenden Coach. Jemand der Zeit hat (sic!) und etwas von dem Thema durch eigenes Erleben versteht. Dann kann für die Klientin oder den Klienten eintreten, was Kanzlerin Merkel schon vor langer Zeit gesagt hat: Gestärkt aus der Krise hervorgehen.