Die Vorlesungen in Biopsychologie fand ich klasse. Die spannenden Zusammenhänge ließen mich staunen über den Erfindungsreichtum der Natur. Besonders mochte ich die Begriffe Amygdala und Nucleus accumbens – die eine ist das Angstzentrum (Mandelkern), der andere das Belohnungszentrum. Beide Strukturen liegen limbischen System tief im Innern des menschlichen Gehirns.
Die Bezeichnungen ihrer Hauptfunktionen zeigen bereits, dass komplexe Abläufe im Gehirn stattfinden. Mit Angst umzugehen ist ebenso wenig einfach, wie mit dem Verlangen klarzukommen. Das ist biologisch gesteuert, aber eben nicht allein. Mit Reflexion und dem Ausprobieren von Handlungsstrategien kann man auf beides Einfluss nehmen. Gerade bei der Angst besteht die erfolgreiche Therapie darin, sich gegen die angstauslösenden Reize zu desensibilisieren. Die Amygdala lernt, ruhiger zu werden, und man verlernt, mit Angst zu reagieren.
Bei der Belohnung ist es nicht so einfach. Warum soll ich wenig nehmen, wenn ich mehr haben kann? Menschen, die ihre Essgewohnheiten umstellen wollen oder müssen, kennen gerade am Anfang den alltäglichen Kampf, der erst mit der Gewöhnung und der Änderung von Routinen abklingt. Beim Essen und Trinken sind die Kontrahenten klar benannt. Aber wie ist es beim Konsum? Bei dem, was uns der Konsum vermeintlich an Status einbringt? Auch wenn wir Gier und Geiz als die Extreme ausklammern, besteht noch enorm viel Spielraum.
Auch wer nicht als Franziskanermönch an sein Armutsgelübde gebunden ist, kann sich einer sparsamen Lebensweise verschreiben. Das tun die Frugalisten. Sie verordnen sich eine kostenarme Lebensweise und eine hohe Sparrate aus ihrem Erwerbseinkommen. Ab einem Zeitpunkt X leben sie von ihrem angesammelten Vermögen. Die Verheißung ist, ab dem Alter von 35 oder 45 nicht mehr arbeiten zu müssen und sein Leben frei gestalten zu können. Ein selbst geschaffenes Grundeinkommen quasi.
Die Frugalisten tauschen sich darüber aus, wie sie ihren Nucleus accumbens austricksen. Ein wichtiges Ziel ist, den Konsum-Impuls zu steuern. Wenn sie etwas kaufen oder konsumieren möchten, tun sie es nicht sogleich (wie wir Übrigen), sondern warten eine Frist ab (drei Tage, 30 Tage), um sich dann zu fragen, ob sie es tatsächlich noch brauchen. Ist die Antwort „ja“, kaufen oder konsumieren sie es. Ein „weiß nicht“ wird wie ein „nein“ behandelt und erspart den Kauf. Diese Menschen merken: Was sie brauchen, ist wenig.
Wer so vorgeht, unterliegt nicht seinen unmittelbaren Gefühlen, Begehren oder Wünschen. Eine Karenzzeit durchbricht die Selbstverständlichkeit des Konsumierens, jedes Verlangen direkt und jederzeit zu befriedigen. Und sie schützt vor unüberlegten Käufen, die häufig nur dem Stressabbau, der Belohnung, dem Trost oder dem Trotz dient. Mit etwas Praxis wird daraus, ähnlich dem digital detox, ein consumer detox. Was dann konsumiert wird, ist viel mehr geschätzt, gefühlt, geschmeckt, gerochen. Es verändert die Denkweise, das Mindset.
Wenn ich mit Klientinnen und Klienten über ihr Konsum-Mindset spreche, frage ich nach: „Sind Sie lieber da, wo alle sind, oder lieber dort, wo wenige sind?“ Die letzteren verstehen bereits etwas von dem Mantra „wenig ist genug“. Die anderen haben einfach noch einen längeren Weg zu gehen.